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SG Marköbel: Etwas Freiburg und Frankfurt-Helden auf Asche

Siebtligist bewahrt auch in sportlichen Extremsituationen die Ruhe

SG 1945 Marköbel: Ein Stück Freiburg und Frankfurter Helden auf Asche

Das glückliche Ende einer wilden Achterbahnfahrt: Die SG Marköbel legte 2015/16 eine formidable Aufholjagd hin und feierte in letzter Sekunde den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt.

Das glückliche Ende einer wilden Achterbahnfahrt: Die SG Marköbel legte 2015/16 eine formidable Aufholjagd hin und feierte in letzter Sekunde den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. SG Marköbel

Gruppenliga Frankfurt Ost

Es ist eine Meldung, die so gar nicht zur SG Marköbel passt, die den Klub aus der Gruppenliga Frankfurt Ost aber daran erinnert, dass auch er hin und wieder in diesem sich ewig drehenden Hamsterrad des Sports steckt: Trainer Wolfram Rohleder verlässt am Saisonende den Verein nach zwölf Jahren Amtszeit. 

Von 1991 bis 1998 beim FC Schalke 04 ausgebildet, Viertliga-Spiele unter anderem für Schwarz-Weiß Essen, die Sportfreunde Lotte sowie die SSVg Velbert und einige Einsätze für die deutsche U 15 und U 16 - einmal sogar für die Schülernationalmannschaft vor rund 50.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion gegen England - haben Rohleder einen tiefen Blick in das Innenleben des Fußballs gewährt. Der heute 45-Jährige hat gelernt, dass es nicht zwangsläufig immer nach oben geht. Und so sagt er zu seinem Abschied: "Wenn man so lange in einem Verein ist und mit einer Mannschaft zusammen war, ist es eine große Kunst, den richtigen Zeitpunkt für eine Veränderung zu finden. Es ist ein Anliegen von mir, etwas Nachhaltiges und die Mannschaft in einem stabilen Zustand zu hinterlassen." Das Saisonende sei der richtige Zeitpunkt, denn, so Rohleder " es wäre nach all den Jahren unschön, wenn ein Abschied notgedrungen vollzogen werden müsste, weil der Verein, die Mannschaft oder der Trainer am Boden liegt."

Danach sieht es derzeit gar nicht aus, denn die SG Marköbel, aus einem Ortsteil der Gemeinde Hammersbach, überwintert in der siebtklassigen Gruppenliga frei von sämtlichen Abstiegssorgen im oberen Tabellenmittelfeld. Große Aufreger gepaart mit wiederkehrenden Personalquerelen überlässt Marköbel anderen Klubs, schließlich hielt sich Rohleders Vorgänger Thorsten Jäsche auch sieben Jahre im Amt und der 1. Vorsitzende Alexander Kühn ist auch schon seit 2012 am Ruder. Langweilig würden das böse Zungen nennen, aber ein prominentes Vorbild zeigt sechs Klassen höher, dass das Festhalten an bewährten Kräften auf lange Sicht Erfolg bringt. Kühn: "Mich hat der SC Freiburg immer beeindruckt. Sei es sportlich, aber auch wirtschaftlich ist der Sportclub für mich seit rund 20 Jahren die Benchmark im Profifußball. Wir wollen das nicht auf Amateurebene kopieren, aber ich sehe da einige Parallelen auf vielen Ebenen. Man muss nicht über den höchsten Etat verfügen - man muss schneller und kreativer sein. Und wenn man dazu noch Kontinuität ausstrahlt, ist das sicherlich kein Nachteil."

Das Tor, das alle Dämme brechen ließ

Schöne Worte, die wohl etliche von Kühns Vorstandskollegen quer durch die Fußball-Republik so unterschreiben würden. Aber wenn es dann einmal tatsächlich sportlich hart auf hart kommt, rücken solch hehre Pläne schnell in den Hintergrund. Die SG Marköbel hat diese Feuertaufe aber bestanden: In der Saison 2015/16 überwinterte die SGM als Vorletzter mit sieben Punkten Rückstand auf das rettende Ufer. Die hart erkämpfte langjährige Zugehörigkeit zur Siebtklassigkeit, die mit dem Aufstieg 2006 erstmals erreicht wurde, schien in einem reißenden Abstiegsstrudel unterzugehen. Rohleder durfte trotz der prekären Situation Trainer bleiben, auch wenn Kühn zugibt: "Natürlich haben wir uns in der damaligen Winterpause Gedanken gemacht, ob wir am Trainer festhalten sollten und haben vieles in dieser Zeit analysiert und reflektiert." Doch so wie der SC Freiburg 2015/16 mit Christian Streich gemeinsam in die 2. Bundesliga ging und prompt wieder aufstieg, fasste der hessische Gruppenligist im gleichen Jahr den Entschluss, ohne einen Trainerwechsel weiterzumachen: "Da wir komplett von Wolfram überzeugt waren, haben wir nicht nur an ihm festgehalten, sondern auch frühzeitig mit ihm verlängert und hätten auch einen Neuanfang in der Kreisoberliga mit ihm gestartet." Denn so Kühn, "wir wussten immer, dass auch mal längere sportliche Negativläufe möglich sind und haben dies immer einkalkuliert." Zudem gerät der Vorsitzende fast schon ins Schwärmen, wenn er über Rohleder intensiver nachdenkt: "Es gibt definitiv keinen Trainer in dieser Liga, der ähnlich gestrickt ist, was Ausbildung, Trainingssteuerung und Spielvorbereitung angeht. Er hat sich in unserer Mammutliga mit 20 Mannschaften - trotz 38 Saisonspielen, plus Pokalrunde - zusätzlich noch jeden Gegner mindestens einmal angeschaut. Es ist unfassbar, was man mit einer detaillierten Vorbereitung, der richtigen Ansprache und optimaler Trainingsbelastung erreichen kann. Wir haben und hatten nie die überragenden Einzelspieler, waren und sind aber immer schwer zu schlagen und funktionieren extrem gut als Team."

Wolfram Rohleder verlässt die SG Marköbel

Ein Ex-Schalker macht Schluss: Wolfram Rohleder geht im Sommer nach zwölf Jahren als Trainer der SG Marköbel. imago images / Patrick Scheiber

Zurück ins Jahr 2016. Die Saison nahm damals ein spektakuläres Ende: Nach der Winterpause ging nur noch ein Spiel verloren, am letzten Spieltag musste gegen den Tabellenführer und feststehenden Meister SC 1960 Hanau aber ein Sieg her, um drinzubleiben. Bis in die Nachspielzeit stand es 0:0 - zehn Jahre auf der siebthöchsten Stufe schienen ein Ende zu nehmen -, bis ein gewisser Mirco Schwarzer nach einer Ecke den Ball doch noch irgendwie im Netz unterbrachte. In der Festschrift zum 75-jährigen Vereinsjubiläum heißt es: "Das erlösende Tor, das am Ortsmittelpunkt alle Dämme brechen ließ."

Das Vertrauen in den Trainer hatte sich ausgezahlt. Rohleder weiß das in der Rückschau zu schätzen: "Gerade bei Misserfolgen ist es beruhigend und nimmt einem sowie der Mannschaft etwas den Druck. Der Trainer bekommt die Zeit, auch die Arbeit und Ansichten weiterzuverfolgen, die etwas mehr Zeit benötigen und vielleicht kurzfristig noch keinen Erfolg garantieren." Doch - und solche Aussagen hört man von Trainern eher selten - solch eine Rückendeckung hat auch noch eine weitere Facette: "Auf der anderen Seite wächst dadurch auch die Eigenverantwortung des Trainers. Man fühlt sich selbst mehr verantwortlich für die sportlichen Geschicke der Mannschaft als wenn der Verein Druck ausübt und damit auch immer Einfluss auf die sportlichen Belange nimmt", so Rohleder.

Und was ist mit dem vielerorts beschworenen nächsten Schritt, der Vision für die Zukunft, nach 16 Jahren in Liga sieben? Marköbel weiß, dass hochtrabende Pläne von weiteren Aufstiegen einem Realitäts-Check nur schwer standhalten würden: "Für die SG war und ist die Gruppenliga Frankfurt Ost beziehungsweise die ehemalige Bezirksoberliga niemals selbstverständlich. Wir wissen, wo wir herkommen und dass diese Klasse für einen Verein unserer Größe was Tolles ist und wir uns Jahr für Jahr bewusst sind, dass dies nicht selbstverständlich ist, trotz mittlerweile über 15 Jahren Ligazugehörigkeit, was eine enorme Leistung darstellt und es so noch nie gab", sagt Kühn.

Einige Vereine - gerade aus der Stadt Offenbach - denken, dass sie was Besseres sind. Für mich unverständlich.

Alexander Kühn, 1. Vorsitzender der SG Marköbel

Um zu so etwas wie unabsteigbar zu werden, braucht es eine große Widerstandskraft. Und so ist für Marköbel ein Wettbewerbsvorteil, dass bei Abendspielen auf den Hartplatz ausgewichen werden muss, da nur dieser Platz über ein Flutlicht verfügt. Kühn sagt zwar, dass immer weniger Spiele auf Asche ausgetragen würden und dadurch der Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu früher geringer sei, doch gleichwohl erwähnt der Vorsitzende auch, dass "es in unserer Spielklasse nur einen Verein gibt, der auch noch über einen Hartplatz verfügt". Ehemalige Spieler von Eintracht Frankfurt wie Ervin Skela, Daniyel Cimen (beide beim FC Hanau 93) oder Aufstiegsheld Alexander Schur (Sportfreunde Seligenstadt) waren als Gegner schon zu Gast und mussten sich Bedingungen stellen, die fernab jeglicher Profi-Standards sind. Vielleicht auch deswegen rümpft mancher Kontrahent die Nase, wenn er auf Marköbel angesprochen wird. Kühn dazu: "Natürlich müssen wir uns oft anhören, dass wir 'Bauern' sind oder ähnliches. Unsere Gemeinde ist wunderschön gelegen, hat 5000 Einwohner, eine direkte Autobahnanbindung und liegt im Speckgürtel von Frankfurt. Trotzdem denken einige Vereine - gerade aus der Stadt Offenbach -, dass sie was Besseres sind. Für mich unverständlich. Es gibt noch andere positive Bespiele in unserer Liga, wie zum Beispiel Oberndorf oder Nidda, die ebenfalls dörflich sind und noch viel weiter abgelegen sind." Durch die dörfliche Prägung seien laut Kühn indes die Zuschauerzahlen daheim wie auswärts höher und auch der Zusammenhalt innerhalb des Vereins sei größer als bei vielen städtisch geprägten Vereinen.

Ervin Skela gegen die SG Marköbel

Ehemaliger Bundesliga-Spieler auf Asche: Ervin Skela (links) am 27. September 2015 im Duell mit Michel Völke von der SG Marköbel. imago/Oliver Schneider

Rohleder hat aus den Gegebenheiten sportliche Schlüsse gezogen, um den auf dem Papier favorisierten Gegnern die Stirn bieten zu können: "Dafür ist immer wieder Kreativität gefragt. Wenn ich in Teilbereichen unterlegen bin, muss ich in anderen Bereichen besser als die Konkurrenz sein." Dabei kommt ihm auch der ausgeprägte Realitätssinn des Klubs entgegen. "Wenn der Verein überzogene Vorstellungen hat, die nicht der Realität entsprechen, bist du als Trainer von vornherein verloren." Gleichzeitig warnt Rohleder vor einer Art Tunnelblick: "Richtig ist aber auch, dass man als ständiger Underdog der Gefahr unterliegt, mittel- oder längerfristige Ziele aus den Augen zu verlieren, weil man so sehr darin 'gefangen' ist, die Unterlegenheit zu kompensieren, um aktuelle Erfolge zu erzielen. Dies sollte sich ein Trainer einer 'Underdog-Mannschaft' immer wieder vor Augen führen."

Kreispokal-Sieg 2012 SG Marköbel

Bester im Kreis: Die SG Marköbel gewann 2007 und 2012 den Kreispokal Hanau. SG Marköbel

SG Marköbel, das ist aber mehr als sich jedes Jahr mit allen Kräften gegen einen Abstieg zu stemmen: Stolz ist der Verein auf seine gewonnenen Titel: 2007 und 2012 holte die SGM den Kreispokal Hanau, zudem gewann der Verein dreimal das mit höherklassigeren Mannschaften besetzte Hallenmasters in Hanau (1999, 2007 und 2008).

Was die Zukunft anbelangt hat der Verein zwei Baustellen. Die eine ist kurzfristiger Natur, nämlich einen neuen Trainer zu finden. Die langen Amtszeiten von Jäsche und Rohleder erleichtern die Suche, wie Kühn feststellt: "Unser Verein ist seit vielen Jahren für Kontinuität und Seriosität bekannt. Das ist oftmals hilfreich, wenn man mit neuen Spielern spricht, aber auch jetzt bei der Trainersuche. Es gibt proaktive Bewerbungen von Trainern, vor allem auch, weil wir Entscheidungen auf vielen Ebenen nicht von einzelnen Spielergebnissen abhängig machen. Das beruhigt potenzielle Trainer, gerade wenn mal nicht die gewünschten Ergebnisse eingefahren werden."

Die andere Baustelle ist die Infrastruktur, was auch viel mit dem Problem zu tun hat, dass die SGM aktuell keine A- und B-Jugend stellen kann. Ein neues Jugendkonzept ist beschlossen, jetzt muss noch gebaut werden: "Wir haben ein tolles Sportgelände, ein fantastisches Vereinsheim, aber leider immer noch keinen Kunstrasenplatz. Das ist natürlich auch für die Jugendarbeit immer noch ein Schwachpunkt - aber auch daran arbeiten wir und ich bin optimistisch, dass wir auch in Hammersbach bald einen Kunstrasenplatz haben werden. Die Gemeinde unterstützt uns endlich bei unseren Bestrebungen", so Kühn, den aber eines Tages die Wehmut befallen könnte, wenn der neue Untergrund zur Verfügung steht: "Das wird ein Meilenstein für unseren Verein, auch wenn ich sicherlich eine Träne verdrücken werde, wenn es keinen Hartplatz mehr in Marköbel gibt. Es gab dort einige legendäre Spiele." 

Stefan Wölfel

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