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"Als der Krieg kam, trainierten wir auf einer Ziegenwiese"

Weltenbummler Bernd Stanges Erinnerungen zum 75. Geburtstag

"Als der Krieg kam, trainierten wir auf einer Ziegenwiese"

Jubilar Bernd Stange blickt zurück auf eine bewegte Trainer-Karriere. 

Jubilar Bernd Stange blickt zurück auf eine bewegte Trainer-Karriere.  AFP via Getty Images

Bernd Stange sitzt in seiner Finca an der Algarve, der Himmel ist blau, zum Strand sind es drei Minuten. Die Zeit als Rentner steht in Kontrast zu seiner Laufbahn als Coach: 38 Jahre, 13 verschiedene Vereine, elf Länder. In seiner Trainer-Vita finden sich das Auswahlteam der DDR (1983-88), CZ Jena, Hertha BSC und der VfB Leipzig ebenso wie Dnipro Dnipropetowsk, ZSKA Kiew, Perth Glory und Apollon Limassol. Zudem betreute der gebürtige Gnaschwitzer die Auswahlteams des Oman, des Irak, von Belarus, Singapur und Syrien (bis 2019). Hinzu kam Mitte der 90er ein Kurzzeit-Engagement als Sportdirektor bei Hertha BSC. Zeit zum Durchatmen blieb während dieser Karriere kaum. Die hat Stange nun aber zur Genüge. Zuletzt ging es mit der Familie zum Skifahren, nach dem Gespräch geht’s kurz ans Meer.

Sind Sie ein politischer Mensch, Herr Stange?

Ich habe mich als Trainer aus politischen Dingen herausgehalten. Deshalb bin ich aber nicht unpolitisch.

Sie trainierten lange Zeit die DDR. Später dann in Ländern wie dem Irak und Syrien, wo Diktatoren an der Macht waren, es herrschte dort zum Teil Krieg. Ist es schwer, sich da mit seiner Meinung zurückzuhalten?

Ich habe eines gelernt: Wenn man sich mit Dingen außerhalb des Sports beschäftigt, verliert man den Fokus. Spitzenleistungen sind nicht möglich. Aber sobald die Politik meinte, sich einmischen zu müssen, wusste ich mich schon zu wehren.

Wie?

1995/96 saß ich als Trainer des ukrainischen Klubs FK Dnipro mal mit ein paar Spielern auf der Tribüne. Die waren jedoch keine Armee-Mitglieder, weshalb es zum Bruch mit den Klubobersten kam. Außerdem wollten mir Politiker die Aufstellung meines Teams vorschreiben. Am nächsten Tag habe ich meine Koffer gepackt.

In Jena stand ich vor der Wahl: Unterschreiben Sie dieses Stasi-Dokument oder Sie erhalten keinen Reisepass.

Bernd Stange

Aber das war ja nicht immer möglich.

Richtig, zuvor als Trainer in Jena wurde ich von meinem Präsidenten vor die Wahl gestellt: Entweder Sie unterschreiben dieses Stasi-Dokument oder Sie erhalten keinen Reisepass.

Sie wurden also gezwungen, Mitglied des Geheimdienstes zu werden?

Mir waren im Grunde die Hände gebunden, ich hätte meine Mannschaft bei internationalen Partien nicht betreuen dürfen. Aber das Kapitel ist für mich abgeschlossen. In einem Buch wurde alles offengelegt. Und ich habe auch die Konsequenzen getragen.

Sie meinen, dass Sie 1995 als Funktionär bei Hertha zurücktraten, als Ihre Stasi-Akten veröffentlicht wurden?

Das auch. Was mich aber wirklich gestört hat, waren die harschen Reaktionen und Verurteilungen. Ich denke nicht, dass viele sich selbst gefragt haben, wie sie in meiner Situation gehandelt hätten.

Bei Hertha BSC hatten Sie zuvor auch als Trainer gearbeitet, sollten dort 1991 den jungen Mario Basler formen. Wie kamen Sie mit ihm klar?

Ich war damals frisch aus dem Osten gekommen, dort war Disziplin ein zentrales Element der Erziehung. Mit seiner Raucherei und Trinkerei entsprach Basler diesem Ideal jedoch nicht. In Essen hatten sie mich schon gewarnt: Pass auf, das ist ein Verrückter! Ich aber dachte mir: Bernd, du hast die Nationalmannschaft der DDR trainiert, du wirst doch wohl mit einem solchen Kerl fertig … Am Ende hat aber er mich fertig gemacht.

Am Ende hat Basler mich fertig gemacht.

Bernd Stange

Einmal haben Sie Basler und den ähnlich schwierigen Christian Hausmann suspendiert - und wurden direkt nach dem Spiel entlassen.

Sie hatten zu viel getrunken, das duldete ich nicht. Nach der Niederlage in Rostock kam Basler zu mir und sagte: Hättest du uns mal spielen lassen, dann wärst du jetzt noch Trainer. Aber wir haben uns danach öfter getroffen, sind nicht im Schlechten auseinandergegangen. Zudem war er ein absoluter Klasse-Fußballer.

Solche Ausnahmetalente hatten Sie in Australien nicht. Stimmt es, dass Sie während Ihrer Zeit bei Perth Glory zwei Studenten trainierten?

Von den Jungs dort habe ich viele selbst entdeckt, teilweise eben auch in Amateurklubs. Und so haben sie dann auch gekickt. Für das Finale um die Meisterschaft hat es trotzdem gelangt. Wir haben Maßstäbe gesetzt.

… weshalb noch heute eine Büste mit Ihrem Konterfei in Perth steht.

Die Fans haben unseren Erfolg honoriert. Wir haben teilweise vor Zehntausenden Zuschauern gespielt. Und als der Präsident mich entlassen wollte, kamen 14 000 Menschen zum Stadion marschiert und feierten mich mit Sprechchören. Den Vertrag musste man dann verlängern - geblieben bin ich trotzdem nicht mehr lange, weil das Verhältnis belastet war.

Sie wurden anschließend Nationaltrainer, 2001 im Oman, 2002 im Irak. Inwiefern prägte Sie das?

Gerade die Zeit im Irak war hart, es war ein Kriegsgebiet.

Sie wurden kritisiert, weil Ihr Engagement als Verbrüderung mit Diktator Saddam Hussein interpretiert wurde.

Ich hatte mich zuvor erkundigt, ob ich das machen könne, der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter half mir bei der Vorbereitung. Sowohl die deutsche Botschaft in Bagdad als auch die in Deutschland sagten, dass ich das Angebot annehmen könne. Schließlich hatten einige deutsche Firmen ja Niederlassungen im Irak.

Aber Sie wurden auch gewarnt.

Natürlich, einige Journalisten sagten, dass das mediale Echo massiv sein würde. Das war es in der Tat, auch wenn es irritierend war …

Sie und Ihr Team erhielten dort den Presidential Award der FIFA für besondere Leistungen und Verdienste im Zusammenhang mit dem Fußball …

Das meine ich. Zuerst werde ich vorverurteilt - und dann für dieselbe Arbeit gefeiert.

Aufbauhelfer unter schwierigsten Bedingungen: Bernd Stange als Nationaltrainer des Irak.

Aufbauhelfer unter schwierigsten Bedingungen: Bernd Stange als Nationaltrainer des Irak. Bongarts/Getty Images

Können Sie diese Arbeit beschreiben?

Als 2003 der Krieg kam, musste ich raus aus dem Land. Nach ein paar Monaten kam ich wieder, nahm mir einen Pick-up, sammelte meine Spieler ein. Mit 50 Bällen trainierten wir auf einer Ziegenwiese. Aber das war egal, wir verbrachten mehrere Wochen gemeinsam, schafften die Quali zum Asien-Cup, kamen in die Finalrunde.

Und der Krieg?

Es war schrecklich, wir sahen Menschen sterben, Bomben hochgehen. Einmal gab es sogar einen Anschlag auf mich und meinen Bodyguard. Trotzdem möchte ich diese Zeit nicht missen.

Interview: Michael Postl