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Akagündüz: "Vielen Migranten hat der Glaube gefehlt, es soweit bringen zu können"

Österreichs erster türkischer Torschütze im Interview

Akagündüz: "Vielen Migranten hat der Glaube gefehlt, es soweit bringen zu können"

In Österreich coachte Muhammet Akagündüz zuletzt den FC Dornbirn.

In Österreich coachte Muhammet Akagündüz zuletzt den FC Dornbirn. GEPA pictures/Armin Rauthner

Herr Akagündüz, Sie waren 2002 der zweite ÖFB-Teamspieler türkischer Herkunft. Wie war die Situation damals für Spieler mit Migrationshintergrund?

Volkan Kahraman hat im Spiel davor debütiert. Gegen Weißrussland haben wir beide gespielt, er von Anfang an, ich bin erst eingewechselt worden. Damals gab es nur wenige Migranten, die es in den Profi-Fußball geschafft haben. Vielen hat einfach der Glaube gefehlt, es überhaupt so weit bringen zu können. Heute ist eine österreichische Nationalmannschaft ohne Spieler mit Migrationshintergrund gar nicht mehr vorstellbar.

Wenn Sie sagen, dass der Glaube gefehlt hat, lag es also nicht an etwaigen Vorurteilen bei den Klubs, sondern eher an den Spielern selbst?

Ich glaube, es braucht immer Vorreiter. Ich weiß noch, wie weit weg das Nationalteam für mich war. Natürlich hab’ ich die Spiele im Fernsehen geschaut, aber es war gar nicht daran zu denken, es dorthin zu schaffen. So ist es vielen ergangen. Erst als wir es geschafft haben, haben auch alle anderen gesehen, dass alles möglich ist. Wieviele es dann in den nächsten 20 Jahren geschafft haben, sieht man ja.

Und doch gab es bisher erst elf Austro-Türken im ÖFB-Team. Ist das nicht wenig, wenn man sich anschaut, wieviele alleine im Wiener Unterhaus aktiv sind?

ÖFB-TESTSPIEL

Naja, das stimmt vielleicht für Österreich, aber man muss auch in den anderen Nationalteams schauen. Mert Müldür, den ich im Rapid-Nachwuchs trainiert habe, hat es über den österreichischen Klub-Fußball in die türkische Nationalmannschaft geschafft. Genauso spielen Spieler mit kroatischem Hintergrund für Kroatien und bosnische im bosnischen Nationalteam. Wenn ich bei Rapid schaue, gibt es da schon wieder einige junge Türken in der zweiten Mannschaft. Man darf auch nicht erwarten, dass im Nationalteam nur noch Migranten spielen, sie sind immer noch die Minderheitsgesellschaft.

Zwischenfrage, weil Sie auch Yusuf Demir trainiert haben: Wie verfolgen Sie ihn?

Ich habe ihn bei Rapid ein Jahr in der zweiten Mannschaft gehabt. Yussi ist ein Spieler mit sehr viel Potenzial, das hat man seit der U 15 überall, wo er gespielt hat, gesehen. Aber er hat es noch nirgends ausgeschöpft. Dass er zu Barcelona gewechselt ist, kann man ihm nicht vorwerfen, auch nicht Galatasaray. Auch FC Basel ist in Ordnung. Er spielt nicht wegen Geld, er liebt Fußball. Und wenn er am Feld ist, blüht er auch auf, obwohl er sonst ein zurückhaltender Mensch ist. Aber er muss jetzt Leistung bringen. Als Offensivspieler musst du Aktionen setzen, du musst Scorerpunkte machen, du musst da vorne einfach was zeigen.

Österreichs "milli takim" - die elf Austro-Türken im ÖFB-Team

Hat bei Ihnen damals auch der türkische Verband angefragt?

Nein, zu meiner Zeit war Österreich nicht so im Fokus, da hat man eigentlich nur auf Deutschland geschaut. Mittlerweile sucht der türkische Verband in allen Ländern nach Spielern türkischer Herkunft. Das ist auch ganz wesentlich. Man muss sich nur den aktuellen Kader anschauen: Calhanoglu, Ayhan, Özcan und auch die jungen Uzun und Kenan Yilmaz sind Deutsch-Türken, Kökcü und Aydin gebürtige Holländer.

Die Türkei hat in den 1980er- und 1990er-Jahren stark aufgeholt, in den 2000ern ihren Höhepunkt erreicht. Wo steht sie derzeit?

Die 2000er waren sicher die stärkste Zeit. Galatasarays UEFA-Cupsieg 2000, WM-Dritter 2002, EM-Halbfinale 2008 - das war eine riesen Generation von Spielern. Dann gab es ein Jahrzehnt lang eine Flaute, aber mittlerweile ist eine neue Generation da, von der viele bei großen ausländischen Vereinen spielen. Die Anzahl der Spieler von türkischen Klubs wird immer geringer. Was auch kein Wunder ist, weil die türkischen Klubs zuletzt fast nur noch in der Europa oder eher noch in der Conference League gespielt haben. In der türkischen Liga gibt es eine Zweiklassen-Gesellschaft, Fenerbahce und Galatasaray sind für die Konkurrenz außer Reichweite.

Dabei haben ihnen doch Trabzonspor und Basaksehir vor ein paar Jahren noch die Titel weggeschnappt?

Und genau deshalb haben Fenerbahce und Galatasaray extrem viel Geld in die Hand genommen, um die alte Vorherrschaft wieder herzustellen. Sie haben viele Stars und Altstars verpflichtet, da kann schon Besiktas nicht mehr mithalten.

Apropos Altstars, sind es nicht vielleicht sie, die die Entwicklung in der Liga bremsen?

Es ist wie überall mit Altstars. Wenn sie bereit sind, sich noch anzustrengen, dann sind sie eine Aufwertung für die Liga, wenn sie die Fußballpension genießen wollen, kosten sie nur viel Geld.

Einen großen Namen hat auch Teamchef Vincenzo Montella. Wie wurde er aufgenommen?

Wie überall, wo ausländische Teamchefs am Werk sind, wird er mit einiger Skepsis beäugt. Er hat bei Adanademirspor einen guten Job gemacht und sich für den Teamchefposten empfohlen. Jetzt zählen die Ergebnisse. Gute Spieler hat er und von den "jungen Wilden" - Arda Güler von Real Madrid und Kenan Yildiz von Juventus sind 2005er-Jahrgänge! - ist auch einiges zu erwarten.

Die Türkei ist eine Wundertüte. Österreich hat in den letzten 15 Jahren einen riesigen Aufschwung erlebt.

Muhammet Akagündüz

Schon gegen Österreich?

Die Türkei ist eine Wundertüte. Das haben auch die Ergebnisse in der EM-Qualifikation gezeigt. Da spielt man einmal daheim Unentschieden gegen Armenien und dann gewinnt man auswärts gegen Kroatien. Österreich hat in den letzten 15 Jahren einen riesigen Aufschwung erlebt. Wir haben viele Spieler im Ausland, die dort nicht nur mehr bei Durchschnittsvereinen, sondern bei Spitzenvereinen spielen. Das sieht man an den Ergebnissen. Dann gab es noch einen großen Ruck mit dem neuen Trainer, der viele neue Ideen einbringt.

Trotzdem wird man wieder von einem "Auswärtsspiel" für Österreich sprechen, wenn im Happel-Stadion (fast?) mehr türkische als österreichische Fans sein werden. Wo stehen Sie in dieser Diskussion?

Die Karten sind im freien Verkauf, wenn sich die autochthone Bevölkerung nicht dafür interessiert und nicht hingeht, kann ich nicht den Vorwurf machen, dass dann mehr Migranten im Stadion sind. Für sie ist das eine Gelegenheit, Spieler ihrer alten Heimat zu sehen, die sie wahrnehmen. Deshalb verstehe ich den Unmut nicht.

Zu Ihrem Trainerjob. Sie sind nach Stationen bei Rapid und Dornbirn derzeit beim deutschen Fünftligisten TuS Mechtersheim engagiert. Ist das ein Klub mit Aufstiegs-Ambitionen?

Vorerst nicht. Es ist ein Dorfverein, mit dem ich einmal den Klassenerhalt schaffen will. Aber ich habe mich entschieden, nach Deutschland zu gehen, weil es hier mehr Möglichkeiten gibt. In Österreich hast du nur wenige Profi-Mannschaften, in Deutschland hast du drei Profi-Ligen und auch darunter noch Mannschaften mit Tradition und Potenzial. Ich bin jetzt einmal bis Mai hier, dann werde ich sehen, wo der Fußball mich hin verschlägt. Mein Ziel ist, was ich als Spieler erreicht habe, auch als Trainer zu erreichen. Gerne auch die Champions League. Aber dorthin will jeder Trainer.

Ist es als Trainer für Sie noch schwieriger als als Spieler?

Für Trainer ist es um Welten schwieriger. Ein Klub hat nur einen Job für einen Trainer, aber 20 bis 30 für Spieler. Als Spieler bekommst du auch mehr Eingewöhnungszeit. Wenn ein Spieler im ersten halben Jahr noch nicht so funktioniert, wird man ihm mehr Zeit geben, als Trainer hast du gleich Erfolg oder bist weg. In Europa liegt die durchschnittliche Überlebenszeit eines Trainer bei einem Klub irgendwo bei 1,1 Jahren.

In England ist es erwiesen, dass es schwarze Trainer schwerer haben, im Profifußball unterzukommen. Haben Sie in Österreich ähnliche Erfahrung wegen Ihres Migrationshintergrunds gemacht?

Das ist halt immer schwer zu sagen. War der Trainer, der dir vorgezogen wird besser oder überzeugender bei seiner Präsentation oder hast du den Job nicht bekommen, weil du Migrationshintergrund hast. Ich würde es in gewissen Fällen nicht ausschließen, explizit wissen tu ich es nicht.

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