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Ajax Amsterdam und der Aufbruch am Abgrund

Mit dem Overmars-Rücktritt begann der Niedergang

Ajax und der Aufbruch am Abgrund

Zuletzt gab es ein 2:5 gegen Eindhoven: Ajax Amsterdam steckt tief in der Krise.

Zuletzt gab es ein 2:5 gegen Eindhoven: Ajax Amsterdam steckt tief in der Krise. IMAGO/ANP

Der FC Bayern München nach zehn Spieltagen Tabellenletzter in der Bundesliga - unvorstellbar! Ebenso war es in den Niederlanden unvorstellbar, dass so etwas mit Ajax Amsterdam passiert. Doch genau das Unvorstellbare ist nun Realität geworden. Das Flaggschiff des niederländischen Klubfußballs befindet sich in gefährlicher Schieflage und droht gar zu sinken. "Ich habe große Angst vor dem Abstieg", gibt die sichtlich bewegte Ajax- Legende Rafael van der Vaart zu. "Ich habe das selbst beim HSV erlebt. Dort hat auch niemand damit gerechnet. Ich glaube zwar nicht, dass sie absteigen werden, aber sie müssen die Situation ernst nehmen", warnt der ehemalige Oranje-Star und Ex-Bundesligaprofi.

Im Mai 2019 standen die Amsterdamer vor dem Einzug ins Champions-League-Finale und scheiterten nur um Haaresbreite an Tottenham Hotspur. Viereinhalb Jahre später befindet sich der Klub am sportlichen Tiefpunkt. Wie konnte es zu einem derart dramatischen Absturz kommen?

Ich habe das selbst beim HSV erlebt. Dort hat auch niemand damit gerechnet.

Rafael van der Vaart macht sich Sorgen

Im Februar 2022 tritt Overmars zurück

Der Beginn des Niedergangs lässt sich recht leicht an einem Datum festmachen. Am 6. Februar 2022 trat Sportdirektor Marc Overmars zurück. Der Ex-Nationalspieler war auf seinem Posten untragbar geworden, nachdem eine Zeitung enthüllt hatte, dass er sich gegenüber weiblichen Angestellten des Klubs unangemessen verhalten hatte. Sein Abgang traf Ajax völlig unvorbereitet und war für den Klub ein herber Verlust, gilt Overmars doch bis heute als das Gehirn hinter den sportlichen Höhenflügen dank kluger Transferpolitik und eines umfassenden nationalen und internationalen Netzwerkes. Und nur vier Monate später ging dann auch noch Erfolgstrainer Erik ten Hag (zu Manchester United), mit dem Overmars ein kongeniales Duo gebildet hatte.

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Damit war der Verein auf der Ebene der sportlichen Leitung enthauptet. Und entsprechend kopflos ging es wenig überraschend danach weiter. Ten Hags Nachfolger Alfred Schreuder erwies sich als Fehlgriff und musste nach sechs Monaten und der mit sieben sieglosen Ligaspielen historisch längsten Negativserie des Klubs schon wieder gehen. Die Suche nach einem Sportdirektor zog sich derweil hin. Übergangsweise übernahmen die in diesem Job eher unerfahrenen Gerry Hamstra und Klaas Jan Huntelaar die Aufgaben. Mit dem Ergebnis, dass im Sommer 2022 zu viele Spieler geholt wurden, die sich als Fehleinkäufe entpuppten.

Mislintat in kniffliger Rolle

Hierfür trägt auch der damalige Generaldirektor Edwin van der Sar die Verantwortung, denn er hatte gegen Alex Kroes als Sportdirektor gestimmt. Nachdem sein Wunschkandidat, der Engländer Julian Ward (Ex-Liverpool), abgesagt hatte, entschied sich van der Sar nach 14-monatiger Vakanz für Sven Mislintat als Sportdirektor, um kurz darauf selbst zurückzutreten - nach elf Jahren im Amt sei er völlig ausgelaugt, brauche eine Pause.

Nun hatte Ajax einen Sportdirektor, aber keinen Generaldirektor mehr. Damit war Klub-Neuling Mislintat ohne seinen Fürsprecher van der Sar plötzlich die zentrale Figur in allen sportlichen Fragen. Allerdings mit einem eingeschränkten finanziellen Spielraum. Da man sich nicht für die Champions League qualifiziert hatte, erwartete Finanzdirektorin Susan Lenderink zunächst Einnahmen durch Spielerverkäufe, ehe selbst in Verstärkungen investiert werden könne. Dies führte dazu, dass viele Zugänge erst spät zum Team kamen.

Spielerauswahl sorgt für Skepsis

Und zu einem von Mislintat ausgesuchten Trainer, Maurice Steijn, für den Ajax eine neue Welt und nach Meinung vieler Experten eine Nummer zu groß war, was sich dann bewahrheitete. Schon bei der Trainerfindung war Mislintat (der eigentlich Peter Bosz wollte, den van der Sar ablehnte) Skepsis entgegengeschlagen, seine Spielerauswahl verstärkte diese noch. Die meisten Profis waren unbekannte Größen, die aber oft hohe Ablösen kosteten, wie zum Beispiel die beiden Zweitliga-Torschützenkönige Chuba Akpom von Middlesbrough/England (12,3 Millionen Euro) und Georges Mikautadze von Metz/Frankreich (16 Millionen).

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Steijn schaffte es nicht, ein kompaktes Team zu bilden, mit der wachsenden Krise wuchs auch die Kritik an Einkäufer Mislintat, der schließlich am 24. September freigestellt wurde. Eine Rolle dabei dürfte der Transfer Borna Sosas (VfB Stuttgart) gespielt haben, bei dem ihm ein Interessenkonflikt vorgeworfen werden konnte, weil er indirekt mit der Spieleragentur in Verbindung steht.

Steijn musste dann nur vier Wochen später gehen. Seine Entlassung war bereits von Louis van Gaal abgesegnet worden. Der legendäre Ex-Trainer ist als Berater des Aufsichtsrates derzeit mächtigster Mann bei Ajax. "Der sportliche Weg nach oben muss beschritten werden, und dazu können und müssen wir alle unseren Beitrag leisten", sagt der 72-Jährige, der weitgehend in Portugal lebt, und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Coach sein will. Er zählt mit Ex-Präsident Michael van Praag und Ex-Profi Danny Blind (als Aufsichtsräte) zu mehreren zurückgeholten Akteuren mit Ajax-Vergangenheit, die die Weichen für die Zukunft stellen.

Van't Schips Rückkehr sorgt für Hoffnung

Ajax am Donnerstag

Allen voran van Gaal. Der sucht noch einen Sportdirektor, hat aber schon zwei wichtige Entscheidungen für den Aufbruch beeinflusst. Neuer Generaldirektor soll spätestens ab dem 15. März 2024 der von van der Sar abgelehnte Kroes werden (es gilt eine Sperrfrist, weil er bis August für Alkmaar arbeitete) und neuer Trainer ist seit Montag John van’t Schip. Der ist als Spieler bei Ajax groß geworden, kennt den Klub und so auch den Erwartungsdruck.

An diesem Donnerstag sitzt er gegen Volendam erstmals auf der Bank und will seinen Spielern vermitteln: "Es geht darum, wieder Spaß zu haben. Mit Freude und Vertrauen wird es viel einfacher. Das muss man im Training und im Gespräch wiederfinden." Die offensichtlichen Defizite hat er erkannt: "Man sieht, dass die Jungs Hilfe brauchen, und die werden wir geben. Und sie müssen das Gefühl haben , sich gegenseitig helfen zu können. Derzeit haben sie sich in ihre Schneckenhäuser verkrochen."

Van’t Schip kann mit diesem Kader noch in die Europacupränge vorstoßen, dafür müssen sich aber alle Spieler erheblich steigern. Jetzt gilt es erst mal, die demütigende rote Laterne abzugeben und - ja, es klingt absurd - die Abstiegszone zu verlassen.

Jan Leerkes

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